Neues aus dem Märkischen Viertel
Mehr Komfort und Energieeffizienz auf einen Streich
Das Märkische Viertel liegt im Norden Berlins. Es gehört mit seinen bis zu 18geschossigen Hochhäusern, in den rund 35.000 Menschen wohnen, zu den beeindruckenden Zeugnissen der Siedlungsarchitektur der 60er und 70er Jahre und befindet sich derzeit im Aufbruch. Schritt für Schritt werden die Wohnhausgruppen saniert und modernisiert. Nach erfolgreichem Abschluss jedes Vorhabens geht ein Aufatmen durch die Reihen der Beteiligten. Denn eine bequeme Baustelle ist das Märkische Viertel nicht. Firmenchef Alexander Sauer von der ASA Baugesellschaft mbH hält die Tatsache, in zehn Monaten 50.000 m2 Wärmedämm-Verbundsystem in bester Qualität verlegt zu haben, sogar für rekordverdächtig.
Auf dem ursprünglich von Wohnlauben geprägten Areal im damals Westberliner Stadtbezirk Reinickendorf hatten unter dem Motto „Urbanität durch Dichte" mehr als 35 namhafte in- und ausländische Architekten ihre Visionen von der modernen Großstadt entworfen. Die wie Skulpturen anmutenden Hochhäuser, auf skurrilen Grundrissen gebaut, hoben sich deutlich von der Zeilenbebauung der 50er Jahre ab und zeichneten sich durch einen für die damalige Zeit gehobenen Wohnkomfort aus. Dazu gehörten unter anderem moderne Bäder und Küchen, Fernheizung und Aufzug.
Die vierzigjährige Geschichte des Märkischen Viertels offenbart indes, dass die Architekten, von kühnen Ideen und Zeitgeist beseelt, in mancherlei Hinsicht die Rechnung ohne den Wirt gemacht hatten. So blieb die Entwicklung der Infrastruktur weit hinter den Erfordernissen zurück. Als besonders schwerwiegend erwies sich der Mangel an Kindertagesstätten und Freizeiteinrichtungen für die Jugend. Zeitweise wurde das Quartier ein Sozialfall. Die schrittweise Verbesserung der sozialen Infrastruktur in den 70er Jahren trug dazu bei, das Märkische Viertel wieder in ein besseres Licht zu rücken.
Nicht zu übersehen war jedoch seit langem, dass die Wohnsiedlung in die Jahre gekommen war und dringend einer Komplettsanierung bedurfte. Denn die Maßstäbe, die heutzutage an Wohnkomfort und Energieeffizienz angelegt werden, sind nicht mehr mit den damaligen Ansprüchen zu vergleichen. So wurden zum Beispiel die Außenwände überwiegend aus Sandwich-Beton-Elementen mit gerade einmal 35 bis 40 mm Dämmung und die Flachdächer größtenteils ungedämmt ausgeführt. Bei den zwar doppelt verglasten Fenstern ließ neben der Wärmedämmung auch der Schallschutz zu wünschen übrig.
Mehr als 15.000 der rund 17.000 Wohnungen im Märkischen Viertel gehören der 1890 gegründeten Gesobau. Das städtische Wohnungsunternehmen ist angesichts eines Leerstandes zwischen fünf und sechs Prozent in die Offensive gegangen. Es investiert 440 Millionen Euro in die Sanierung des Märkischen Viertels und will es zu einem der lebenswertesten Stadtteile von Berlin machen, wie Vorstand Jörg Franzen die Zielsetzung auf den Punkt bringt. Acht Jahre hat sich das Wohnungsunternehmen dafür Zeit gegeben. Wie es in diesem Zeitraum das Viertel in ein lebens- und liebenswertes Wohnquartier verwandeln will, ist Gegenstand eines langfristigen Modernisierungskonzepts, das in einem bundesweit ausgeschriebenen Wettbewerb zur künftigen wohnungswirtschaftlichen, städtebaulichen und energetischen Entwicklung von Großsiedlungen prämiert wurde und im In- und Ausland auf großes Interesse stößt.
Spielraum für Komplettsanierung
Das Konzept legt die bestehenden Defizite schonungslos offen und sieht darin die entscheidenden Ansatzpunkte für innovative Lösungen. Wer die Frage nach dem Schicksal der Großsiedlungen stellt, so Dipl.-Ing. Georg Unger, Leiter Technik der Gesobau, stoße ganz schnell auf energiewirtschaftliche Ansätze. Sein Unternehmen setze die energetische Modernisierung als wirtschaftlich optimale Lösung ein, um ein zukunftsfähiges Quartier zu schaffen, das zeitgemäße soziale, wirtschaftliche und ökologische Anforderungen erfülle. Die Rechnung sei einfach: Ein Primärenergieverbrauch, der weit über dem Durchschnitt des landeseigenen Wohnungsbestandes liegt, sei nicht akzeptabel und schlage zwangsläufig auf die Betriebskosten der Mieter durch. Es gehe deshalb darum, die Kosten für Heizung und Warmwasser nahezu zu halbieren, um dadurch den Spielraum für eine weitgehend „warmmietenneutrale" Komplettsanierung zu schaffen, die zu mehr Energieeffizienz und einem beträchtlichen Zuwachs an Wohnkomfort führe. Im Zuge der baulichen Maßnahmen werden unter anderem Heizungsanlagen und Einrohrheizungen gegen moderne Systeme ausgetauscht, Küchen und Bäder neu gestaltet und die Gebäudehüllen mit hochwertigen, das Erscheinungsbild der Fassaden aufwertenden Wärmedämm-Verbundsystemen versehen. Dem demografischen Wandel trägt die barrierefreie Gestaltung von Teilen des Bestands Rechnung. „Mit diesem Paket bringen wir Haustechnik und Wohnkomfort bei bezahlbaren Mieten auf den heute üblichen Standard. Damit wird es uns gelingen, das Märkische Viertel in der Gesamtheit seiner Substanz zu erhalten", resümierte Georg Unger.
Von Kopf bis Fuß eingepackt
In der zeitlichen Abfolge der Sanierungs- und Modernisierungsmaßnahmen erhielten die Wohnabschnitte an den Hauptschauplätzen des öffentlichen Lebens Vorrang. Erste Erfahrungen bei der Umsetzung ihres Konzeptes hatte die Gesobau mit einem Pilotprojekt gesammelt. Sie machten deutlich, dass die vorgesehenen baulichen Veränderungen nur mit einem hohen Maß an technologischer Disziplin und Termintreue im vorgegebenen Zeitplan zu schaffen waren. Für die Gesobau ein Grund mehr, es mit der Qualitätssicherung ganz genau zu nehmen.
Die Projektsteuerung im Falle der Hochhausgruppe 905 an der Ecke Wilhelmsruher Damm/Finsterwalder Straße, unter deren Dächern sich mehr als 600 Wohnungen befinden, war dem Ingenieurbüro für Projektentwicklung und Baubetreuung GmbH (IPB.B) übertragen worden und lag in der Hand von Dipl.-Ing. Christian Böhler, der im Auftrage des Bauherrn ein waches Auge auf Qualität, Kosten und Termine hatte. Nach seinen Worten förderte schon die Erfassung des Bauzustandes des Gebäudekomplexes eine Reihe von Überraschungen zutage. In den Außenwänden steckten die unterschiedlichsten Materialien und Konstruktionen, die den Bauleuten in der Folge das Leben schwer machten. So verhinderten unterschiedliche Untergründe, zu denen auch Holzwolle-Leichtbauplatten gehörten, einen Wandaufbau gemäß üblichem Standard und erforderten für das WDVS eine Zulassung im Einzelfall. Weil der bis zum sechsten Stock reichenden monolithischen Konstruktion Mauerwerk folgte, musste zusätzlich die Statik bemüht werden.
Auf den unverhältnismäßig hohen Aufwand schon in der Vorbereitungsphase wies Geschäftsführer Dr. sc. Stephan Rolf Schüttauf vom Generalplaner SPP Property-Projekt-Consult GmbH hin. Im Märkischen Viertel hatte die Gesellschaft unter anderem die Bestandserfassung, Entwurfsplanung und Bauüberwachung unter ihre Fittiche genommen. Viel Engagement und Fingerspitzengefühl erfordere aber auch die Betreuung der Mieter, die von der Sanierung angetan und genervt zugleich waren. Dr. Schüttauf verwies darauf, dass die Fassaden nicht nur energetisch optimiert worden seien, sondern der Bauherr in diesem Zusammenhang die Ursprungsidee von der „Weißen Stadt" aufgegriffen und mit einem Masterplan aus der Hand von Prof. Markus Schlegel, Hochschule für Gestaltung Hildesheim, umgesetzt habe.
Gemeinsam stimmten Projektsteuerer und Generalplaner die in Plänen und Ausschreibungen vorgegebenen Qualitätsvorgaben ab. Eine intensive Diskussion ging der Wahl des geeigneten Wärmedämm-Verbundsystems voraus, dem ein bedeutender Beitrag zur 30prozentigen Unterschreitung des Energieverbrauchs nach dem Neubaustandard der Energie-Einsparverordnung 2007 zugedacht war. Die Entscheidung fiel am Ende zugunsten des Capatect WDVS in den Varianten A und B unter Verwendung der Dalmatiner-Dämmplatte aus Polystyrol bzw. der nicht brennbaren Mineralfaser-Fassadendämmplatte 149 extra mit verbesserter Schall- und Wärmedämmung (WLG 035) im Hochhausbereich, die zugleich als Brandriegel eingesetzt wurde. Für die Befestigung der Platten, deren Qualität mit besonderer Aufmerksamkeit kontrolliert wurde, waren entsprechend statischer Vorgabe rund 400.000 Dübel zu setzen. In seinem Resümee unterstrich Dr. Schüttauf, dass es erhebliche Anstrengungen gekostet hätte, die Vorstellungen des Bauherrn ohne Abstriche im vorgegebenen Kosten- und Zeitrahmen in die Tat umzusetzen, wobei er ausdrücklich auf die vielfältige Unterstützung durch Michael Karst von Caparol in der Bauvorbereitung und bei der Entscheidungsfindung auf der Baustelle hinwies.
Rekordverdächtig
Den Zuschlag für die Fassadenarbeiten hatte die ASA Baugesellschaft mbH mit Sitz in Zepernick bei Berlin erhalten, die sich nach einem Jahrfünft erfolgreicher Marktpräsenz mit einem Jahresumsatz von sechs Millionen Euro im Rücken in der Lage sah, einen Auftrag dieser Dimension zu übernehmen. Denn 50.000 m2 Wärmedämmsystem auf die Fassaden zu bringen, ist selbst für einen gestandenen Fassadenbauer wie Firmenchef Bauingenieur Alexander Sauer mit einem eingespielten Team kein Pappenstiel. In die Zuständigkeit des Verarbeiters fiel auch, die geforderte bauaufsichtliche Einzelfall-Zustimmung für die Montage des WDVS auf diffusem Untergrund einzuholen und die Flächen im brandgefährdeten Bereich mit Brandriegeln auszustatten. Als Herausforderung der besonderen Art erwies sich die Logistik. Denn Stellplätze für Kraftfahrzeuge und Müllcontainer blieben für die in großer Zahl benötigten Silos tabu. Laut Alexander Sauer bewährte sich die Partnerschaft mit dem Hersteller von der ersten Minute an. Mit einem bereits vorhandenen Gutachten beschleunigte er die Zustimmungsprozedur für den Einzelfall, gemeinsam wurden Silo-Stellplätze festgelegt und die WDVS-bewehrten Fassaden überprüft. Letztere werden durch eine Putzbeschichtung mit Mineralputz und einer zweifachen Beschichtung mit der silikatischen Fassadenfarbe Sylitol ins rechte Licht gesetzt. Für Alexander Sauer, den nichts so leicht aus der Fassung bringt, ist die Tatsache, in zehn Monaten 50.000 m2 WDVS bei bester Qualität verlegt zu haben, ein Grund stolz zu sein. Er sieht vor allem im Einsatz von eigenem verlässlichem Personal das Erfolgsrezept für die rekordverdächtige Leistung.