Räume der Geborgenheit und Heiterkeit
Kindgerechte Planung von Kinderkrippen
Im September 2008 hat das Bundesfamilienministerium per Gesetz festgeschrieben, dass ab 2013 auch Kinder unter drei Jahren einen Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz haben. Die Folge: 750.000 Betreuungsplätze für die Kleinsten müssen bis dahin entstehen. Neben der Frage nach Bildung und Betreuung der unter 3-Jährigen stellt sich auch die Frage, wie Kinderbetreuungseinrichtungen den Bedürfnissen der Kinder entsprechend gestaltet werden können.
Da die Kinder oft das erste Mal ihr gewohntes familiäres Umfeld verlassen und in den Krippen ihre ersten Erfahrungen in einer fremden Umgebung machen, ist es besonders wichtig, dass die Räume Sicherheit und Geborgenheit vermitteln.
Sensibler Umgang mit Farbe
Wissenschaftliche Untersuchungen belegen die psychologischen und physiologischen Auswirkungen von Farben auf den Menschen. In seiner Entwicklung durchläuft der Mensch vielfältige Erlebnis- und Lernprozesse. Im Krippen- und Kindergartenalter ist die Erlebnisfähigkeit, die Beeindruckbarkeit über die Sinne durch äußere Reize noch viel ausgeprägter vorhanden als bei Jugendlichen und Erwachsenen. Je älter die Kinder werden, um so mehr können sie sich von der unmittelbaren Wahrnehmung abgrenzen, sie lernen das Ausfiltern von verschiedensten Eindrücken.
Die Umwelt wird von dem kleinen Kind noch unmittelbar wahrgenommen (unzensierte Eindrücke) und bestimmt im starken Maße die Ausbildung des sinnlichen Wahrnehmungsvermögens. Das erfordert einen sensiblen Umgang mit Farbe hinsichtlich Atmosphäre und Anmutung. Eine durchdachte Farbgestaltung vermeidet daher willkürliche und plakative Buntheit und orientiert sich an den Entwicklungsphasen des Kindes. Weder der persönliche Geschmack der zuständigen Pädagogen oder Architekten noch Modetrends sollten die Grundlage für eine Farb- und Raumgestaltung in einer Kinderkrippe sein, erläutert Innenarchitektin Simone Hörr, die selber früher als Erzieherin gearbeitet hat. „Der Raum hat dienende Funktion. Er sollte einen selbstlosen Rahmen bilden, in dem das heranwachsende Kind sich frei entwickeln und entfalten kann."
Räume als Erfahrungsfeld für die Sinne
Kinder brauchen Räume für Wahrnehmung, Bewegung und Begegnung. Durch ständiges Ausprobieren und Üben erobern sie sich die Welt Schritt für Schritt. Eindrücke beeinflussen die Identifikation des Kindes mit seiner räumlichen Umgebung und wirken auf sein Wohlbefinden und seine Verhaltensweise ein. Aus all den Erlebnissen und Wahrnehmungen entsteht in ihm ein inneres Bild der äußeren Welt. Durch die Wahrnehmung und Handlung verbindet sich Innenwelt und Außenwelt des Kindes.
Der Raum sollte zu einem Erfahrungsfeld der Sinne werden. Niedliche und putzige Elemente sind zu vermeiden, um den Kinder Gestaltungsräume für ihre eigene Fantasie zu lassen. Großflächige, stark gesättigte Farbreize oder kontrastreiche Muster führen bei langer Einwirkung zu einer hohen, visuellen Anstrengung. Das Auge zieht es zu Dingen, die sich bewegen und der Blick wandert dorthin, wo hohe Kontraste sind. Kontrastreiche Muster werden entlang der Kanten „abgetastet" und die Augen folgen immer wieder der Konturlinie. Das Gehirn muß gegensteuern und ausgleichen. Oftmals führt dies zu Ermüdung und Konzentrationsschwäche. Werden die Kontraste weicher, kommt Farbe hinzu, entsteht eine farbige Stimmung, die als atmosphärische Raumhülle dienen kann.
Für den Gleichgewichtssinn eignen sich Elemente, die zum Klettern und Krabbeln einladen: modellierte Böden (Podeste) mit unterschiedlichen Höhen, mit Auf- und Abstiegsmöglichkeiten, Hindernisse oder Stufen in allen Variationen. Sicht- und tastbare Oberflächen vermitteln nachhaltige Eindrücke. Daher ist die sorgfältige Auswahl qualitativ hochwertigen Materials sehr wichtig. Die Möbel müssen von der Höhe her der Größe der Kinder entsprechen und weiche Formen mit abgerundeten Kanten haben, damit sich die Kleinen nicht stoßen können. Es empfiehlt sich, vor allem natürliche, ökologisch unbedenkliche Materialien einzusetzen, da neben dem gesundheitlichen Aspekt auch der Tast- und Geruchssinn angesprochen wird.
Beispiel für eine kindgerechte Planung
Diese Erkenntnisse hat die Innenarchitektin Simone Hörr in Zusammenarbeit mit Andrea Girgzdies vom Caparol FarbDesignStudio bei der ersten firmeneigenen DAW-Kinderkrippe berücksichtigt und umgesetzt. Die im September 2009 auf dem Firmengelände eröffnete Krippe, ist ein Beispiel für kindgerecht durchdachte Planung. Das 145 qm große Gebäude wurde entkernt, saniert und energetisch auf den neuesten Stand gebracht. Die Innenarchitektin wählte für die Räume helle, zarte Farbtöne aus dem warmtonigen und kühltonigen Pastellbereich mit einzelnen, gezielten Farbakzenten. „Die Farben sollen Heiterkeit, Leichtigkeit und Geborgenheit vermitteln", erläutert Innenarchitektin Simone Hörr.
In Räumen mit kürzerer Verweildauer setzte sie kühlere Farbnuancen, in Räumen mit längerer Verweildauer wärmere Farbtöne ein, um so einen Ausgleich zu schaffen. Denn eine sinnvolle Farbkonzeption sucht die Balance zwischen Wärme und Kühle, zwischen Anregung und Ruhe, mit dem Ziel eine visuelle Klarheit zu schaffen in Zeiten wachsender Reizüberflutung.
Küche und Sanitärräume erscheinen in frischen Farbtönen: die Bäder sind in einem Farbklang aus zartem Grün und Blau ausgeführt, die Küche in einem frischen Grün. Der Bewegungsraum im 1. Obergeschoss ist zartgrün gestrichen mit einer lasierten Akzentwand in Blau-Türkis.
Der Gruppenraum sowie der Schlafraum sind in einem warmen Orangegelb gestrichen und anschließend mit einer rötlichen Deco-Lasur lasiert. Durch diese zarte Lasur können unterschiedliche Lichtbedingungen und Blickrichtungen immer wieder neue Farbklänge entstehen lassen. Eine monochrome Wand läßt das Auge schneller ermüden, kann aber sinnvoll sein bei Wänden mit kurzen Renovierungsintervallen. Bei bestimmten bauliche Details wie z. B. Stützen und Träger ist ein deckender Anstrich sogar vorzuziehen, da er Stabilität und Tragfähigkeit vermittelt.
Alle Wände sind mit der organisch gebundenen und gut zu reinigenden Strukturfarbe MultiStructurStyle in feiner Körnung mit zartem Kreuzschlag beschichtet. Dieses Produkt sowie die eingesetzten Lasuren sind emissionsminimiert und lösemittelfrei – eine Stärke der eingesetzten Wandbeschichtungen von Caparol.
Als Belag für den Boden wählte Simone Hörr geöltes Stäbchenparkett in Eiche. Der Boden ist im Farbton dunkler als die Wände, was dem natürlichen Farberleben entspricht. Neben einer natürlichen Haptik vermittelt das Parkett dadurch den Kindern Standsicherheit. Die Möbel aus Birke-Multiplex haben weiche Formen mit abgerundeten Ecken und Griffen. Alle Möbel wurden von der Innenarchitektin entworfen und in das Farb- und Materialkonzept eingebunden.
Gezielte, farbige Akzente werden durch lasierte Holzkistchen in der Garderobe und den kleinen Hockern im Gruppenraum gesetzt. Die Farbigkeit der Holzkistchen ermöglicht den Kindern gleichzeitig eine Orientierung.
Bei den Hockern ist in Absprache mit den Erzieherinnen bewußt auf eine Lehne verzichtet worden, damit eine aktive Sitzposition eingenommen werden kann. Die Wickelkommode hat einer Treppe, sodass die Kinder selbstständig zu ihrem Wickelplatz hinaufklettern können. Dadurch entfällt das Hochheben und der Rücken der Erzieherinnen wird geschont.
Ein mit Tretford-Teppich belegtes Podest dient den Kindern als Anregung zur Bewegung und Rückzugsmöglichkeit. Ein flexibles Spielhaus aus Ständern und Stoffbahnen ermöglicht eine differenzierte Raumnutzung.
Für den Schlafraum wurden kleine Betten und Wiegen mit Stoffhimmel entworfen. Die Stoffhimmel vermitteln Geborgenheit und nehmen dem Raum optisch die Höhe.
Dieses gelungene Konzept verdeutlicht, wie viel eine durchdachte Material- und Farbgestaltung bewirken kann. Inspirierende, unterstützende Lern- und Lebenswelten beeinflussen positiv soziales Verhalten, Kreativität, Identifikation und Wohlbefinden.
Ein sinnvoller Beitrag für die Entwicklung des Kindes ist gewiß.
Das Objekt Kinderkrippe in Ober-Ramstadt ist jetzt für den German Design Award 2014 in der Kategorie Architecture and Interior Design nominiert.