Wie sich Kirchanschöring eine soziale Dorfmitte schuf
Das „Haus der Begegnung" vereint Wohnen im Alter mit einer Begegnungsstätte für Jedermann
„Ich bin seit zehn Jahren Bürgermeister – und in all der Zeit habe ich nie so viel Lob und positive Rückmeldungen gehört wie am Tag der Eröffnung unseres Hauses der Begegnung. Die Leute sind stolz darauf und das spürt man in der Gemeinde", sagt Bürgermeister Hans-Jörg Birner, und ein wenig Stolz ist auch in seiner Stimme zu hören. Zu Recht, denn mit dem Haus der Begegnung hat sich der 3.200-Einwohner-Ort Kirchanschöring selbst eine neue, soziale Dorfmitte geschaffen. Das innovative Wohnprojekt vereint unter seinem Dach nicht nur neun Wohnungen, die den Mietern ein selbstbestimmtes Leben im Alter ermöglichen sollen, sowie zehn Pflegeappartements im Erdgeschoss für Menschen mit hohem Hilfsbedarf. Beide Etagen verfügen über gemeinschaftliche Bereiche. Obendrein gibt es einen öffentlichen Gebäudeteil, von dem die ganze Gemeinde profitiert: Ein Gemeinschaftsraum, in dem zum Beispiel Lesungen und VHS-Kurse stattfinden, ein Sozialbüro und sogar eine Arztpraxis sind dort untergebracht. So kann man für sich sein oder Kontakte pflegen – ein interessantes Konzept, das sowohl Inklusion als auch Freiraum bietet.
Von Rückschlägen und Fortschritten
Der Realisierung dieser sozialen Dorfmitte in der Gemeinde im Landkreis Traunstein gingen Jahre der Konzeptentwicklung voraus: 2002 kam aus der Einwohnerschaft der Wunsch, ein Angebot zum Wohnen im Alter zu schaffen, in dem die Senioren Teil des sozialen Gefüges bleiben können. Ein Arbeitskreis gründete sich und erarbeitete in mühevoller Kleinarbeit ein Finanzierungskonzept, das 2009 jedoch auf den letzten Metern scheiterte. Ein harter Schlag, hatten die Beteiligten doch so viel Energie und Herzblut in das Projekt gesteckt. Nach einer Phase des Stillstands jedoch nahm 2012 die Gemeinde das Ruder in die Hand: „Im Diskurs mit den Bürgern zeigte sich, dass sie sich für den Ort immer noch ein Angebot zum Wohnen im Alter wünschten", erzählt Bürgermeister Birner weiter. „Zusätzlich aber sollte es auch eine Pflegemöglichkeit geben, Beratungsräume und eine Begegnungsstätte für die Bürgerschaft." Die Idee zum Haus der Begegnung in seiner heutigen Form war geboren – und die Begeisterung für das Projekt entflammte erneut.
Zur Unterstützung holte die Kommune Stefan Mayer ins Boot, Geschäftsführer der CaraVita Pflegemanagement Beratungs GmbH mit Sitz in Prien am Chiemsee. Sein Unternehmen ist spezialisiert auf innovative Projekte rund ums Wohnen im Alter. Mayer stand den Kirchanschöringern beratend zur Seite und entwickelte das Gesamtkonzept. Zudem war er auch für sämtliche Planungsleistungen und die Kostenverfolgung zuständig. Mithilfe des kommunalen Wohnraumförderprogramms sowie anderer Fördertöpfe und dank des neuen Pflegestärkungsgesetzes wurde das Vier-Millionen-Projekt schließlich Realität. Die Bauzeit betrug nur 13 Monate, 40 Gewerke waren insgesamt beteiligt. Ende April 2018 feierte die neue Dorfmitte Eröffnung. „Uns ist es wichtig, mit Wohnformen neue Wege zu gehen, in eine neue Zeit aufzubrechen", sagt Mayer. „Im Haus der Begegnung wird eine zukunftsweisende Form des Lebens im Alter und in der Gemeinschaft gelebt: dass Wohnen nicht mehr separiert ist von einer möglichen Hilfsbedürftigkeit. Zudem sind die Mieter voll in die soziale Struktur der Gemeinde mit eingebunden – sie bleiben in der Normalität ihres Alltags."
Wohnlichkeit trifft auf Funktionalität
Die Farbgestaltung des Hauses sollte genau diese Alltagsnormalität unterstreichen, gleichzeitig jedoch die besonderen Bedürfnisse der Senioren und die intensive Nutzung der öffentlichen Bereiche berücksichtigen. Beate Ripka vom Caparol FarbDesignStudio entwickelte dazu ein Farbkonzept, in dem Funktionalität, Wohnhauscharakter und Dorfatmosphäre Hand in Hand gehen. Passend zur ländlichen Umgebung ist die Fassade in dezenten Naturtönen und Materialien gehalten: Es dominieren Weiß, ein Sandfarbton sowie viel Holz. Beim Eintreten in das Gebäude fällt die warme, wohnliche Atmosphäre auf. Dieser Eindruck entsteht durch den warmtonigen Boden, hellbeige Wände sowie farbige Wandakzente. Im Erdgeschoss wurde ein erdiges Rot eingesetzt, im Obergeschoss ein intensiver Ockerton. Starke Akzente sind hier von großer Bedeutung: „Die Farbgestaltung muss prägnant sein, sodass sie den älteren Bewohnern mithilfe von Kontrasten die Orientierung erleichtert", erklärt Ripka. Durch die zusätzliche Betonung einzelner Wandflächen mit elegant anmutenden Oberflächentechniken entstehen prägende Raumstimmungen, die den behaglichen Charakter fördern und ein hochwertiges Ambiente schaffen. In den Gemeinschaftsräumen dient die Kreativtechnik Calcino Romantico in einem grünen und graugrünen Farbton an einzelnen Wänden als Blickfang: In anspruchsvoller Kalkglättetechnik gestaltet, beeindrucken die Flächen durch ihre Struktur, Optik und Haptik.
„Lebensräume": spezielle Konzepte für Senioren
Bei der Farbgestaltung arbeitete Ripka mit dem Konzept „Lebensräume", das Caparol gewerkeübergreifend mit Bodenbelagshersteller Forbo Flooring entwickelt hat und das sechs verschiedene Farbwelten speziell für Senioren umfasst. Von der Farbwelt „Rosengarten" über „Meeresbrise" bis hin zu „Landpartie" berücksichtigen sie alle die veränderte Wahrnehmung von Menschen mit Seheinschränkungen oder Demenzerkrankungen. Die Lebensräume-Farbpalette bildet den Ausgangspunkt für eine bedürfnisgerechte Gestaltung und kann auf individuelle Bauvorhaben angepasst werden, so wie im Haus der Begegnung geschehen. Passend zum Konzept wurde ein Bodenbelag von Forbo Flooring vorgeschlagen: Die Wahl fiel auf einen natürlichen Designbelag aus nachhaltigem Material.
Auf Wunsch der Projektverantwortlichen, auch regionale Materialien im Haus zu verbauen, wurde im Eingangsbereich Sollhofener Stein verlegt. Der warme Steinboden harmoniert angenehm mit der kühltonigen Akzentwand, die durch ihre Struktur und metallische Beschichtung auffällt (ElementEffects mit Metallocryl). Im Gemeinschaftsbereich unterstreicht ein Eichenholzboden die gemütliche Stimmung. „Das Konzept ‚Lebensräume’ hat mir Andreas Gradinger von Caparol auf einer Fachmesse vorgestellt und ich war sehr beeindruckt davon. Da habe ich das Unternehmen wirklich als Vordenker erlebt", erzählt Stefan Mayer. „Caparol hat sich intensiv mit unserem Projekt auseinandergesetzt und das Haus der Begegnung ganzheitlich betrachtet, sprich die Farbwirkung in den Gesamtkontext gestellt und bewusst eingesetzt. Darüber hinaus war es uns besonders wichtig, ökologische Produkte zu verwenden, und auch mit diesem Anspruch waren wir bei Caparol richtig."
Konsequent nachhaltig
Alle Farben, die im Haus der Begegnung verwendet wurden, sind konservierungsmittelfrei. Mit IndekoGeo* setzt Caparol neue Maßstäbe, in der nachwachsende Rohstoffe zum Einsatz kommen, was den Einsatz von Erdöl und Erdgas so weit wie möglich reduziert. „Außerdem wurde in dem Objekt unser System Element Effects verwendet", erklärt Andreas Gradinger, Caparol-Bereichsleiter Health Care Objektmanagement. „Dabei handelt es sich um ein ökologisches Glasgewebe-System, Basis Quarzsand, das ausgesprochen robust, langlebig und dabei auch noch dekorativ ist. Damit lässt es sich auch in vielfrequentierten und stark genutzten Objektbereichen problemlos einsetzen." Auch der Bodenbelag von Forbo Flooring wurde nach ökologischen Kriterien ausgewählt: Der natürliche Designbelag besteht aus nachwachsenden Rohstoffen und ist frei von PVC, Weichmachern sowie Synthese-Kautschuk.
Einige Monate nach der Eröffnung zieht der Bürgermeister eine erste Bilanz: „Das Haus der Begegnung wird im Ort noch besser angenommen als erwartet. Es ist einfach klasse zu sehen, wie die Mieter dort zu einer Hausgemeinschaft zusammenwachsen", freut sich der Bürgermeister. „Und ich finde es ebenfalls toll und bewundernswert, wie die Projektbeteiligten über eine so lange und arbeitsintensive Zeit bei der Stange geblieben sind und an das Haus geglaubt haben. Das zahlt sich heute aus und wird den Ort noch lange bereichern."
Katharina Mandlinger
Fotos: Caparol Farben Lacke Bautenschutz/Martin Duckek
Herr Bürgermeister Birner, Herr Mayer, wie lief die Zusammenarbeit bei der Planung des Hauses der Begegnung ab?
Stefan Mayer: Es war ein sehr gemeinschaftlich geprägtes Projekt, in das alle Akteure – egal ob Gemeinde, Verein oder wir als Konzeptentwickler und Planer – viel Erfahrung und Engagement eingebracht haben. Im Rahmen der Konzeptentwicklung hatten die Kirchanschöringer klare Vorstellungen dazu erarbeitet, wie das Haus der Begegnung gestaltet werden sollte. Dank kurzer Wege in der Gemeinde, einer starken Führung und unserer Möglichkeit, die Gesamtplanung abzuwickeln, verlief die Umsetzung des Bauvorhabens dann ausgesprochen effektiv.
Wie sieht das Zusammenleben im Haus heute aus?
Hans-Jörg Birner: Bei der initialen Belebung des Hauses hatten wir Unterstützung von CaraVita – Experten für Wohnen im Alter: Sie hat das Projekt über die Baumaßnahme hinaus begleitet und eine Initiatorentätigkeit für die ambulant betreute Wohngemeinschaft übernommen. Heute gibt es unter den Mietern ein lebendiges Miteinander, was uns als Gemeinde natürlich sehr freut. Die Leute schauen aufeinander, kochen gern zusammen und freuen sich einfach über die neu entstandene Gemeinschaft. Auch die Dorfbevölkerung nimmt Anteil, die Menschen kommen zu Besuch und spielen zum Beispiel eine Runde Karten mit.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Hauses?
Birner: Es läuft wirklich hervorragend und ich wünsche mir zunächst ganz einfach, dass es so weitergeht. Ich freue mich darauf, wie sich das Projekt weiterentwickelt, hoffe auf noch mehr schöne Begegnungen und gehe davon aus, dass sich das Zusammenleben so verselbständigt, dass eine Begleitung nicht mehr nötig sein wird. Darüber hinaus hoffe ich, dass dieses zukunftsweisende Konzept Schule macht. Wir bekommen viel Besuch von anderen Kommunen, die sich dafür interessieren und ich fände es prima, wenn einige davon die Chance nutzen und ähnliche Projekte auf den Weg bringen.
Mayer: Da schließe ich mich an. Ich wünsche mir ebenfalls, dass sich das Haus der Begegnung auf dem gleichen Niveau wie bisher weiterentwickelt – und dass es als Vorbild für ein Zusammenleben im Alter und in der Gemeinschaft eine Wirkung über die Grenzen der Gemeinde hinaus entfaltet. Dass es künftig mehr solcher Angebote gibt, die ein Miteinander und eine gegenseitige Unterstützung in der sozialen Umgebung möglich machen.
Katharina Mandlinger
Fotos: Caparol Farben Lacke Bautenschutz/Martin Duckek
*Die Innenfarbe IndekoGeo wurde 2022 ausgelistet. Das Nachfolgeprodukt ist CapaGreen Indeko-plus.
Indeko-plus
Bautafel:
Objekt:Haus der Begegnung - Wohnen im Alter, Kirchanschöring
Bauherr:Kommunalunternehmen Wohnbaugesellschaft, Kirchanschöring
Architekt:Konzept und Gesamtplanung: CaraVita Pflegemanagement Beratungs GmbH, Prien
Architekt: Marx + Mayer Gemeinschaftshaus Planungs- und Entwicklungs GmbH, Prien am Chiemsee
Ausführung:Maler Schmuck, Teisendorf
Caparol Außendienst:Paul Schneider
Andreas Gradinger, Health Care Objektmanagement Caparol
Farbkonzept:Dipl.-Designerin Beate Ripka, Caparol FarbDesignStudio
Fertigstellung:2018